Dresden war über Jahrzehnte hinweg ein Zentrum der optischen Industrie, und ein Name, der eng mit dieser Tradition verbunden ist, ist Ernemann. Das Unternehmen, das Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, zählte zu den führenden Herstellern von Foto- und Filmkameras und leistete – im Wettstreit mit dem lokalen Konkurrenten ICA – einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der modernen Fototechnik.
Heinrich Ernemann – Der Visionär hinter dem Unternehmen
Johann Heinrich Ernemann wurde am 28. Mai 1850 in Gernrode im Eichsfeld geboren. Er war ein deutscher Unternehmer und Erfinder in der Foto- und Kinogeräteindustrie sowie Gründer der Ernemann-Werke AG. 1876 kam Ernemann nach Dresden und übernahm dort ein Kurzwarengeschäft. 1889 verkaufte er dieses und wurde Teilhaber der Kameratischlerei von Wilhelm Franz Matthias an der Pirnaer Straße. Dieses Unternehmen entwickelte sich später zu den renommierten Ernemann-Werken.
Die Anfänge und Aufstieg zum international bedeutsamen Hersteller
Anfangs spezialisierte sich das Unternehmen auf die Produktion von Fotokameras und Projektoren. Dank innovativer Entwicklungen und einer hohen Fertigungsqualität wuchs Ernemann schnell. Heinrich Ernemann verzichtete im Jahr 1909 auf die Einbringung seines Unternehmens in die neu gegründete Internationale Camera Actiengesellschaft (ICA), die sich in Dresden aus den wesentlichen Mitbewerbern formierte. Die ICA entstand durch den Zusammenschluss der Hüttig AG Dresden, der Emil Wünsche AG Dresden, der Kamerafabrik Krügener in Frankfurt am Main und der Abteilung Palmos Camerabau von Carl Zeiss Jena. Getrieben wurde dieser Fusionsprozess durch Carl Zeiss in Jena. Der Konzern verfolgte die Strategie, durch Fusionen und feindliche Übernahmen eine marktbeherrschende Stellung in der Optik-, Foto- und Kinoindustrie zu erlangen bzw. zu verfestigen. Mit dieser Zielstellung strebte Zeiss auch die Eingliederung der Firma Ernemann in die ICA an. Heinrich Ernemann folgte jedoch nicht dem Lockruf aus Jena und entschied sich für die Eigenständigkeit seines Unternehmens, dass im Jahr 1909 bereits zu den weltweit größten Kameraherstellern zählte. Die Ernemann AG blieb nicht nur unabhängig, sondern auch einer der bedeutendsten Mitbewerber der ICA. Diese Konkurrenz der beiden großen Dresdener Hersteller trug wesentlich zum Innovationsschub des Kamerabaus an der Elbe bei und festigte weiter die international herausstechende Rolle des sächsischen Kamerabaus.
Besonders bekannt wurde Ernemann durch seine Plattenkameras, die für ihre Robustheit und Präzision geschätzt wurden. Auch im Bereich der Filmprojektoren setzte das Unternehmen Maßstäbe. Diese Entwicklung wurde durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Krupp-Konzern nach dem 1. Weltkrieg beflügelt und leistete einen ganz erheblichen Beitrag zum Weltruhm der Firma Ernemann.
Innovation und das Markenzeichen: Der Ernemann-Turm
Zu den herausragenden Innovationen des Unternehmens gehörten unter anderem die Ernemann Spiegelreflexkameras und die Einführung der Hochgeschwindigkeitsobjektive Ernostar, die besonders in der professionellen Fotografie große Anerkennung fanden. Ein Symbol der Firma war der markante Ernemann-Turm, der heute noch als Wahrzeichen des ehemaligen Werksgeländes in Dresden steht. Das Werk an der Schandauer Straße wurde 1898 bezogen und steht wie kein anderes Gebäude für die Bedeutung, aber auch den Wandel, der Dresdner Fotoindustrie. Heute beherbergt es die Technischen Sammlungen der Stadt Dresden, die sich u.a. mit einer sehr sehenswerten Ausstellung der Fotostadt Dresden widmen.
Die Bedeutung der Ernemann-Kinoprojektoren
Heinrich Ernemann erkannte früh das Potenzial der Kinematographie und begann bereits 1903 mit der Produktion von Kinogeräten. Ein bedeutender Meilenstein war die Einführung des „Imperator“ im Jahr 1909, des ersten vollständig aus Stahl gefertigten Kinoprojektors. Dieses robuste Design setzte neue Standards in der Branche und wurde in verschiedenen Ausführungen produziert. Ein Exemplar des „Imperator“ kann im Filmmuseum Potsdam besichtigt werden.
Ein weiterer technischer Durchbruch gelang mit dem „Ernemann VII B“ in den 1930er Jahren. Dieser Projektor, der für große Filmtheater konzipiert war, integrierte erstmals die Abtastung des Lichttons direkt im Laufwerk, was die Synchronisation von Bild und Ton erheblich verbesserte. Er wurde bis in die 1940er Jahre produziert und galt als technischer Meilenstein in der Filmprojektionstechnik.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Zeiss-Ikon AG die Produktion von Filmprojektoren unter dem Markennamen Ernemann fort. Modelle wie der „Ernemann VIII“, „VIIIb“, „IX“, „X“ und „12“ bauten auf dem Erfolg des „Ernemann VII B“ auf. Diese Projektoren zeichneten sich durch ihre hohe Haltbarkeit aus und waren bis in die 1970er Jahre in Kinos weltweit im Einsatz.
Besondere Kameramodelle und technologische Errungenschaften
Ernemann brachte zahlreiche bemerkenswerte Kameramodelle auf den Markt, die sich an unterschiedlichste Zielgruppen und Anforderungen richteten. Dazu gehörten:
- Ernemann Heag: Reihe unterschiedlich ausgestatteter Plattenkameras in den Formaten 4,5×5 bis 13×18, die weite Verbreitung fanden und in ihren günstigen Modellreihen unter Amateurfotografen beliebt waren.
- Ernemann Bob: Kompakte Faltkameras (für Rollfilm und Platten) für den gehobenen Amateurmarkt, die in unterschiedlichen Formaten und Ausstattungen seit ca. 1900 angeboten wurden. Die Abbildung zeigt eine Bob 0 und wurde einem Katalog aus dem Jahr 1912 entnommen.
- Ernemann Klapp und Klapp-Miniatur: Hochwertige Klappkameras mit schnellem Tuchschlitzverschluss und Durchsichtsucher. Wurde seit 1901 in verschiedenen Ausführungen gefertigt. Besonders funktional und transportabel, ideal für Reisefotografie.
- Ermanox: Eine Kamera mit dem legendären Ernostar-Objektiv, das außergewöhnlich lichtstark war und die Fotografie bei schlechten Lichtverhältnissen revolutionierte.

Fusion und Weiterführung als Zeiss Ikon
1926 fusionierten die Ernemann-Werke mit der Optischen Anstalt C. P. Goerz, der ICA und Contessa-Nettel zur Zeiss Ikon AG. Mit dieser Fusion endete nach 37 Jahren die Geschichte des Familienunternehmens Ernemann.
Auch nach der Fusion blieben die Ernemann-Produkte ein Synonym für höchste Qualität. Viele der damaligen Entwicklungen fanden Eingang in die späteren Modelle der Zeiss Ikon-Kameras. So wurde die beispielsweise die Ermanox noch bis Anfang der 1930er als Spitzenprodukt der Zeiss Ikon gebaut und vertreiben. Mit der Zeit mussten jedoch auch zahlreiche Ernemann-Modelle der logischen und gewiss auch notwendigen Konsolidierung der Produktpalette weichen. Insbesondere bedeutete der Verlust der Eigenständigkeit nach 1926 ein Ende der Objektivproduktion, welche im Zeiss-Konzern den Jenaer und Saalfelder Standorten vorbehalten war. Auch die Zentralverschlussfertigung mit den beliebten und leistungsstarken Chronos-Modellen der Ernemann-Werke fand im neuen Unternehmen keinen Platz mehr. Diese wichtigen Teile flossen dem mitteldeutschen Kamerabau nun mehr fast ausschließlich aus den Häusern Gauthier und Deckel zu, die ebenfalls eng mit Zeiss verbunden waren. Ebenfalls nicht gehalten wurde Ernemanns Produktion photographischer Platten, welche 1928 eingestellt wurde. Das Plattenwerk in Bannewitz wurde anschließend für die Herstellung anderer Zeiss-Ikon-Produkte weitergenutzt.
Ernemanns Erbe in der modernen Fotografie
Obwohl der Name Ernemann als eigenständige Marke nach der Fusion verschwand (mit Ausnahme der Modellbezeichnung einiger Kinoprojektoren), bleibt sein Vermächtnis in der Geschichte der Fotografie lebendig. Die technischen Errungenschaften und die Innovationskraft des Unternehmens legten den Grundstein für viele Entwicklungen in der Kameratechnik. Heute erinnern der Ernemann-Turm in Dresden und zahlreiche erhaltene Kameramodelle an die Glanzzeit dieses Pioniers der Fotografie.
Mit seiner Innovationskraft, seiner Präzision und seinem Einfluss auf die Kameratechnik hat Ernemann ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte der Fotografie geschrieben. Mit der Übernahme durch Zeiss Ikon wurden die Ressourcen und Kompetenzen der Branche am Standort Dresden weitergebündelt und einer der weltweit bedeutsamsten Konzerne der damaligen Zeit gebildet. Gleichzeitig führte die Aufgabenteilung im Konzern aber gleichzeitig auch erstmals zu einem Kompetenzverlust im sächsischen Raum. Dies gilt insbesondere für die Fertigung von Zentralverschlüssen und den Objektivbau.